Sonntag, 29. November 2009

180° Wendung

Am Samstag Abend war ich mit Franki und ihrer Schwester Alys zum Tanzen verabredet. Aber eben erst abends, deswegen hatte ich vormittags Zeit meine sieben Sachen zu packen. Und dem Himmel sei Dank, dass ich damit schon am Wochenende angefangen habe, das Unternehmen „Umziehen“ entpuppte sich nämlich als ein größeres Unterfangen als angenommen. Ich hab festgestellt, dass ich bereits Unmengen an Dingen gekauft habe, die es mir jetzt alles andere als erleichtern, die Mains mit nur einem Koffer, einem Rucksack und einer Handtasche zu verlassen. Ich werd wahrscheinlich noch fünf weitere Taschen brauchen und meine ganzen Habseligkeiten hier wegzutragen…

Als es Zeit wurde, hab ich mich auf den Weg zu den Schwestern gemacht. Ich bin ein bisschen früher hingefahren, damit wir uns zusammen fertig machen konnten. Und es war dann, als ob wir alle drei Teenager wären: Wir haben uns gegenseitig die Haare gemacht, die beiden haben sich die Schuhe von der jeweils anderen ausgeborgt (und ungefähr hundert Paar anprobiert), wir haben passenden Schmuck herausgesucht und Sekt getrunken.

Nach und nach kamen die Freunde, die mitkommen würden. Die Männer haben sich zu Alys´ Mann Brad ins Wohnzimmer gesellt, die Frauen sind zu uns ins Schlafzimmer gekommen. Es war eine lustige Runde, aber eben alle in einem Alter, in dem man verheiratet ist, Kinder, Haus und Hof hat. Gott sei Dank war wenigstens Franki mit dabei, die mir dann doch noch am ähnlichsten war – also jung, mit großen Zielen und noch ganz am Anfang =)

Als die Schwestern fertig geschminkt waren, haben wir alles zusammen das furchtbar leckere, mexikanische Dinner gegessen. Dabei bin ich mit einer der Freundinnen ins Gespräch gekommen. Kim hat mich alles Mögliche über meinen Aufenthalt hier ausgefragt. Sie wollte jedes Detail wissen; was meine Aufgaben wären, wie viel ich verdiene, wo ich wohne, ob ich ein Auto habe usw. Nach einer Weile habe ich sie gefragt, ob sie nicht wüsste, was ein Au- pair ist und davon hatte sie tatsächlich noch nie etwas gehört. Ich hab auch davon gesprochen, dass ich jetzt noch eine Woche lang bei meiner Familie bleiben werde und danach praktisch „arbeitslos“ bin, dass meine Agentur zwar gerade nach einer neuen Familie sucht, aber bisher recht erfolglos (Tatsächlich hab ich immer noch nicht ein Profil, außer die fünf Zeilen dieser Liza, gesehen…).

Und dann meinte Kim, dass sie da jetzt so einen Gedanken hätte. Sie hat Augen und Lippen ein wenig zusammengekniffen und zu ihrem Mann rüber geschaut. Dann hat sie wieder mich angesehen und dann ist sie endlich damit heraus gerückt: Sie würden zur Zeit jemanden beschäftigen, der ihre kleine Tochter nachmittags aus dem Kindergarten abholt und solange beschäftigt, bis sie, Kim, kommt und ihre Tochter abholt. Dafür würde dieser jemand hundertzwanzig Dollar pro Woche bekommen. Wenn sie jetzt achtzig Dollar mehr bezahlen würde, dann hätte sie immer jemanden, der da wäre, und zusätzlich eine Hilfe im Haushalt wäre. Ob ich nicht ihr neues Au- pair werden wolle.

Dass ich ganz schön überrumpelt war, brauch ich ja nicht zu sagen. Ich bin sogar recht vorsichtig geworden, hab erstmal nur gelächelt und mich bedankt.

Dieses Mal will ich alles richtig machen, auf mein Bauchgefühl hören, wenn ich mich für eine neue Familie entscheide. Dieses Mal soll es die richtige Familie sein, jemand, der auch wirklich mich und nicht nur meine Arbeitskraft haben möchte. Und Kim und Robert kannte ich genau seit zwei Stunden, sie waren mir sehr sympathisch und ich konnte ehrlich sagen, dass ich sie mochte. Aber das muss ja nicht viel bedeuten. Handynummern haben wir trotzdem ausgetauscht und es dabei erstmal beruhen lassen. Dann sind wir alle zusammen losgezogen, Tanzen, Trinken, Tanzen, Trinken. Alles in allem war es ein netter Abend, aber nicht unbedingt wiederholungswürdig. Es ist eben doch nicht so ganz meine Altersgruppe :-)

Um drei sind wir nach Hause gekommen, ich hab bei Franki im Zimmer geschlafen und am nächsten morgen haben mich die Vögel vor dem Fenster geweckt. Da Brad uns die beiden Söhne fischen gegangen waren, waren Franki, Alys und ich allein. Wir haben vor dem Fernseher gefrühstückt und uns über die Dummheit der Leute amüsiert, in einer Show, die vergleichbar mit „Das Model und der Freak“ ist. Und dann hab ich eine SMS Kim bekommen, ob ich nicht Lust hätte am Nachmittag zu ihnen nach Hause zu kommen, um die Kinder und das Haus kennenzulernen. Klar hatte ich Lust. Aber dann kam alles ganz anders: Weil sie noch immer ihr Auto vom gestrigen Abend bei Alys stehen hatten, kamen sie eine Stunde später, um es abzuholen. Und als sie sahen, dass ich noch immer bei Alys daheim war, haben sie mich gefragt, ob ich nicht mit ihnen mitkommen wolle, um die Kinder von der Farm seiner Eltern abzuholen. Eigentlich wollte ich nicht, ich war müde und erschöpft und deprimiert wegen meiner ganzen Situation, hab mich aber aufgerafft und „Ja“ gesagt. Eine Dreiviertelstunde zusammen in einem Auto würde mir ausreichend Gelegenheit geben, die beiden kennen zu lernen. Wir sind auch gleich losgefahren, zuerst zu ihnen nach Hause, weil sie ja mit zwei Autos unterwegs waren.

Als wir auf der Straße waren, was die hier alle als „Highway“ bezeichnen, zeigte Kim auf einen entfernten Hügel, auf dessen Spitze ein riesiges Haus stand. „That´s ours!“ Naja und viel mehr brauch ich auch nicht mehr hinzufügen. “Groß” beschreibt das Haus perfekt. Es ist sehr modern eingerichtet, für meinen Geschmack ein wenig zu viel Chrom und dunkle Farben, aber es hält sich in Grenzen. Und es war sehr sauber, großer Pluspunkt, auch nach vier Monaten habe ich mich nicht an die ganze Schmuddeligkeit hier gewöhnt.

Nachdem ich herumgeführt wurde und ausreichend Gummistiefel eingepackt waren, haben wir uns auf den Weg zu Roberts Eltern gemacht. Eine Dreiviertelstunde soll das gewesen sein, aber so kam es mir gar nicht vor. Auf dem Weg dahin haben wir natürlich total viel geredet: wer ich bin, was ich mache, wie es bisher lief, was ich noch vor hab usw. Und mir haben sie erzählt, was sie so für Vorstellungen haben, was sie bräuchten, warum, weshalb, wieso. Über sich und ihre Kinder natürlich auch. Sie haben vier Kinder: der Älteste ist 19 (!), wohnt aber nicht mehr daheim sondern in der Stadt und arbeitet, dann noch einen elfjährigen und einen neunjährigen Sohn, Joshua und Taylor und die kleine Ella, vier Jahre alt. Genaueres weiß ich noch nicht von ihnen, außer dass Allah Ballett tanzt, dadurch haben Kim und Alys sich kennen gelernt.

Robert und Kim haben den gleichen Beruf und jeweils ihre eigene Firma (sind praktisch Konkurrenten), vor Jahren hatten sie schon beschlossen „beide Firmen zusammen zu legen, habens bisher nur noch nicht geschafft“. Sie beraten Firmen und Privatkunden zu Geldfragen, helfen Rechnungen zu bezahlen und sowas.

Als die Farm in Sicht kam, machte Robert einen Schlenker mit seinem Arm und meinte: „Das gehört alles meinen Eltern“. Vor uns lag eine weite Ebene mit riesigen Feldern, eingekesselt von einer ellenlangen Bergkette. „Die Berge auch?“, hab ich gefragt. „Die Berge auch!“, hat sich zu mir umgedreht und gelacht. 1500 Hektar Land ist seit Generation im Besitz seiner Familie. Zur Zeit wir die Farm von seinen Eltern und seinen drei (!) Brüdern geführt, er und seine Schwester leben aus beruflichen Gründen in der Stadt.

Als wir auf das eingezäunte Grundstück des Hauses seiner Eltern gerollt sind, ist uns auch schon sein Vater auf seinem Quad entgegen gekommen, vorne drauf die kleine Ella: klein, blond, braungebrannt und so draufgängerisch wie man es mit drei Brüdern wohl unumgänglich werden muss.



Im Haus drinnen hab ich dann die Jungs kennen gelernt: höflich, zuvorkommen, anfangs ein wenig eingeschüchtert, aber je mehr Zeit verging, desto mehr wurde ich mit Fragen gelöchert. „Wo Deutschland liegt, ob ich denn dann auch deutsch sprechen könnte, wie lange man mit dem Auto fahren würde, wenn es eine Brücke von Neuseeland nach Deutschland geben würde“ und so weiter. Es war total genial, wie schnell sie auf mich eingegangen sind.

Dann hatte Kim die geniale Idee, mich ein wenig herum zu führen und mit einem Quad auch auf einen der Berge hinauf zu fahren. Begeistert hab ich mir also die geborgten Gummistiefel übergestreift und bin zusammen mit Kim und Tylor hinten raufgeklettert, Ella, Joshua und eine Nichte haben vorne Platz genommen und Robert hat sich in die Mitte hinters Lenkrad gequetscht und uns chauffiert. Er kennt das Gelände wie seine Westentasche, ist nicht nur hier aufgewachsen, sondern geht (oder ging) auch regelmäßig nachts auf Possumjagd.

Zuerst sind wir zu Melkstation ein paar hundert Meter weiter gefahren. Kim war irgendwie ganz besessen darauf, mir alles zu zeigen und da sie mit ihrer Begeisterung bei mir an der richtige Adresse gelandet ist, hab ich mich am Ende, mit einer Schürze um den Körper geschlungen, direkt hinter den Kühen wiedergefunden, den Melkapparat in der Hand. Leute ich hab zehn Kühe gemelkt am Wochenende!


Das Mädchen dort ist übrigens Sky, sie ist auch 19 Jahre alt und heiratet im April den jüngsten von Roberts Brüdern.


Als es dann genug war, haben mir die Kinder ganz begeistert die Schweinebabys gezeigt. Und ganz ehrlich die waren auch total niedlich. Sie waren schon aus dem Säuglingsstatus heraus und hatten jetzt große Ähnlichkeit mit „Schweinchen Babe“, allerdings hatten manche schwarze Flecken und sahen so aus, als ob eines der Elterntiere ein Wildschwein ist.


Dann sind wir wieder aufgesessen und weiter gings. Kinder was soll ich sagen, Neuseeland ist eben nicht umsonst bekannt für seine atemberaubende Landschaft. Erst sind wir zu einem kleinen Wasserfall gefahren, oder vielmehr durch wilden Busch gewandert, wir konnten nämlich nur die Hälfte der Strecke fahren.

Und danach dann weiter den Berg rauf, bis wir an einer Stelle ankamen, wo es mit dem Quad nicht mehr weiterging. Aber das war auch ok, wir waren weit genug oben, um mir eine Ahnung zu verschaffen, wie großartig das Land ist.






Als wir wieder unten waren, haben wir uns mit einer Tasse Tee (und furchtbar harten Keksen) an den Küchentisch gesetzt und „Klartext“ geredet. Kim und Robert meinten, dass sie alles im Großen und Ganzen klasse finden (also wohl mich und die Idee ein Au- pair zu haben), sich aber nochmal Gedanken machen müssten (ist ja auch verständlich, sie kannten mich seit weniger als 24 Stunden und die Einrichtung des Au- Pair sogar noch kürzer).

An der Entscheidung hängen nämlich ein paar kleinere Probleme mit dran (zumindest sind sie der Meinung, dass diese vorhanden sind^^):

1. haben sie bis zum Ende des Schuljahres (letzter Schultag ist der 17. Dezember) Jemanden, der Ella vom Kindergarten abholt und betreut, bis Kim sie abholt und über die Sommerferien (sechs Wochen, glaub ich) brauchen sie niemanden. Wir sprechen also von Mitte Januar, wenn es um eine Anstellung geht. Aber die beiden meinten, dass ich trotzdem bei ihnen wohnen könnte, allerdings eben ohne bezahlt zu werden. Was an sich kein Problem darstellt. Da wusste ist allerdings auch noch nicht, dass sie keinen Unterhalt von mir haben wollen, nur ein paar einfache Gegenleistungen wie leichte Hausarbeit und so etwas (eigentlich ja genau die Sachen, die meinen Job ausmachen). Das ist also geklärt (allerdings erst seit heute, aber dazu später mehr).

2. haben sie nur zwei Autos. Kim braucht ihres jeden Tag, allerdings nur vormittags bis mittags. Robert braucht sein Auto nur für Meetings, er arbeitet ja von Zuhause aus. Wo genau sie da ein Problem jetzt sehen, verstehe ich nicht ganz. Mit guter Kommunikation lässt sich dieser „Mangel“ ja leicht beheben, oder?

3. Was mache ich die ganzen sechs Wochen über? Ich hab zwar praktisch keine Ausgaben, aber das bisher ersparte Geld war für mein Reisen nach dem Au- Pairdasein gedacht und eigentlich war geplant, dass das die folgenden Wochen auch noch anwächst. Sie hatten die Idee, dass ich in einem Café oder in einer Bar anfangen könnte, oder sogar in einem Supermarkt. Weihnachten und sie großen Sommerferien stehen vor der Tür, hier wird es in nächster Zeit so geschäftig sein, wie zu keiner anderen Zeit im Jahr. Sicher wird irgendwer jemanden, auch ohne jegliche Kellnererfahrung, für ein paar Wochen einstellen, meinten sie. Fand ich an sich eine gute Idee, schon allein, um nicht daheim dann herumzusitzen und werd mich diese und nächste Woche also um einen Job kümmern, der so gar nichts mit meinem Ursprünglichen Arbeitsplan zu tun hatte =)

Nach dem Tee haben wir uns langsam auf dem Heimweg gemacht, haben aber noch eine ganze weitere Stunde gebraucht, um loszukommen und dann eine Dreiviertelstunde Heimweg und dann wurde ich bei Alys vor der Haustür abgesetzt. Mit ihr und ihrer Familie hab ich dann ein wunderbares Dinner mit selbst gefangener Languste und Yorkscher Pudding – so gut hab ich schon sehr lange nicht mehr gegessen!


Schweren Herzens und super schwindelig von den Ereignissen des Wochenendes bin ich abends um zehn wieder „nach Hause“ gefahren. Angela und Darrell hatte ich vorläufig noch nichts von der neuen Familie erzählt – ich weiß eigentlich gar nicht warum… Ich hab mich nicht danach gefühlt…

Heute morgen kam mir alles wie ein Traum vor. Nachdem ich die Kinder in die Schule gebracht und Dylan eine DVD angemacht hatte (natürlich nachdem ich das ganze Haus geputzt und die erste Maschine Wäsche aufgehängt hatte -.-), hab ich eine Mail an Kim geschrieben, gefragt, für den Fall, dass ich ihr neues Au- pair werde, ob sie gerne Unterhalt für die ersten Wochen haben möchten und nach Internetnutzung hab ich auch gefragt. Zehn Minuten später habe ich eine Antwort bekommen, dass sie sich entschieden haben, mich bei sich zu haben, dass sie keinen Unterhalt haben möchte (Ich werde schon einen Weg finden, mich zu revangieren) und dass ich perfectly allow bin, ihr Internet zu nutzen.

Leute, ich hab eine neue Familie. Hier, in Whangarei. Sie ist lieb und nett, und ganz vor allem: Sie sind an mir interessiert und nicht an meiner Arbeitskraft. Ich hab mich von Anfang an aufgehoben und in der Gemeinschaft aufgenommen gefühlt. Und ich hab mein Glück durch die mutige Entscheidung mit ein paar Erwachsenen Tanzen zu gehen gefunden. Durch einen so großen Zufall, dass man fast von Schicksal sprechen könnte. Am Samstag morgen (Ja, die Mains haben mir tatsächlich erlaubt noch eine Nacht länger als bis zum 4. Dezember zu bleiben) geht es los. Wie, was, wann und wo weiß ich noch alles gar nicht. Wenn ich gleich auf meine Tasse Tee rüber gehe, werde ich ganz dreist fragen, ob mich jemand am Samstag in die Stadt bringen könnte und falls ja, dann werd ich dort von meiner neuen Familie abgeholt und ins neue Leben chauffiert. Mir ist das sprichwörtliche Gebirge vom Herzen gefallen und meine Zukunft ist nicht mehr ungewiss.

Jetzt gehe ich ganz entspannt zu meiner Tasse Tee rüber ins Drachenhaus und weiß, dass meine Tage mehr als gezählt sind. Und heute Nacht werde wahrscheinlich ich so gut schlafen, wie noch nie.

Viele, liebe und ganz wunderbare Grüße vom anderen Ende der Welt,

eure Julia =)

3 Kommentare:

  1. ich freu mich für dich Chulia, ich wusste du packst das! viel spass weiterhin und schonmal frohe weihnachten im sommer;). hdl christian

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  2. Ach Määäuschen ich freu mich riiiichtig doll für dich!!! Ich hatte ja letztendlich auch einfach nur Glück und das braucht man in so 'ner Situation auch einfach! Ich bin echt sooo happy dass du jetzt deinen Platz diort, wo du dich auch wirklich wohl fühlst, gefunden hast!

    Fühl dich fest umarmt von mir!


    kuzzi, deine Pinki

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  3. Mensch das ist ja super. Freu mich sehr und drück dir die Daumen, dass die ersten positiven Eindrücke erhalten bleiben.

    Jana und ich kommen vielleicht im Feb/März nach "Down under", allerdings nach Australien zum Reisen. Dazu aber ein anderes Mal mehr.

    Liebe Grüße Arian

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